Erfahrungsbericht zum Beyond-Washington-Programm 2024: Wisconsin und seine Menschen
Im Rahmen des „Beyond Washington“-Programms der US-Botschaft Berlin hatte meine Mitarbeiterin Julia Schulze die Möglichkeit, einen Einblick in das „Heartland“ der USA zu gewinnen. Ihren Erfahrungsbericht lesen Sie hier:
Seit 2018 bietet das Beyond-Washington-Programm Mitarbeitenden von Bundestagsabgeordneten die Möglichkeit, hinter die Kulissen der USA zu blicken und ein tieferes Verständnis für die politischen, ökonomischen und kulturellen Abläufe im Land zu entwickeln. Das diesjährige Beyond-Washington fand vom 11. bis 18. August in Madison, Wisconsin, statt – einem der Swing States, die im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl eine entscheidende Rolle spielen. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, wie entscheidend das Wahlergebnis in diesem Bundesstaat für den Ausgang der Wahl sein würde – Trump wurde nach der Auszählung in Wisconsin zum „President Elect“ erklärt.
Im Einklang mit dem Programmkonzept erhielt ich in dieser Woche einen umfassenden Einblick in die unterschiedlichsten Debatten in Wisconsin, die meine Sicht auf die Vereinigten Staaten nachhaltig beeinflussten. Bis zu diesem Zeitpunkt war mein Bild von Amerika stark von der Popkultur und den Wahrnehmungen der Ost- und Westküsten geprägt, nicht zuletzt, weil es meine erste Reise in „das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ war. Wisconsin ist ein Bundesstaat, in dem gegensätzliche Welten aufeinandertreffen. Auf der einen Seite steht die liberal geprägte, urbane Stadt Madison als Zentrum für Wissenschaft und Technologie. Auf der anderen Seite gibt es einen wirtschaftlich starken ländlichen Raum, der vor allem durch die Milcherzeugung geprägt ist und politisch eher konservative Tendenzen aufweist. Einerseits erlaubt das Waffenrecht in Wisconsin jederzeit eine Handfeuerwaffe bei sich zu tragen, ohne dies für andere erkennbar machen zu müssen. Andererseits existiert eine gut organisierte Umweltbewegung, die sich für die hochwertige Aufbereitung von Leitungswasser einsetzt. Diese Beispiele verdeutlichen stellvertretend für viele weitere die politische Fragmentierung des Landes und die gesellschaftlichen Spannungsfelder, die es im Land zu überwinden gilt.
Während meines Aufenthalts in Madison war die Anspannung vor den bevorstehenden Vorwahlen deutlich zu spüren. Die letzten beiden Präsidentschaftswahlen waren jeweils nur mit hauchdünnen Abständen entschieden worden – einmal zugunsten der Republikaner und einmal zugunsten der Demokraten. In den Gesprächen mit Vertretern von NGOs und lokal politisch Engagierten wurde eines klar: Die Bereitschaft zur Wahlbeteiligung und die Mobilisierung der Wähler sind zentrale Herausforderungen. Die Gründe für die wachsende Stimmmüdigkeit sind vielfältig: mangelndes Vertrauen in den Wahlprozess und das Wahlsystem sowie bürokratische Hürden. Darüber hinaus tragen Fake News zu einem zusätzlichen Vertrauensverlust in die Stabilität des Systems bei. Umso beeindruckender war es, mit welchem Engagement vor Ort versucht wird, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Gezielte Informationskampagnen, Hilfe-Hotlines oder persönliche Beratungsangebote sind nur einige der Initiativen, die mit positiver Resonanz auf die Beine gestellt wurden.
Für mich persönlich waren die Exkursionen am bereicherndsten. Auf der Milchfarm von Tina Hinchley erhielten wir einen Einblick in die Herausforderungen und den Einfluss des ländlichen Raums auf den „Dairy State“. Der Besuch von „The River Pantry“, einer lokalen Tafel, bei der wir beim Sortieren von Lebensmitteln, der Zusammenstellung von Essenspaketen und der Ausgabe von Mahlzeiten mithelfen konnten, hinterließ bleibende Eindrücke. Sowohl im Austausch mit den freiwilligen Helfern als auch mit den Hilfsbedürftigen wurde deutlich, wie gnadenlos das fehlende soziale Netz in den USA Menschen in Situationen bringt, in denen sie auf Lebensmittelspenden angewiesen sind – oft auch ohne offensichtliche Bedürftigkeit. Dieses Erlebnis verdeutlichte einmal mehr, wie wichtig solche Projekte und das freiwillige Engagement von Menschen auch für uns in Deutschland sind.
Abschließend war der letzte Abend unseres Aufenthalts, den wir bei verschiedenen Gastfamilien verbrachten, ein ganz besonderer Moment. Hier konnten nicht nur Themen aus völlig neuen Perspektiven diskutiert werden, sondern es entstand auch ein zwischenmenschlicher Austausch, der mir noch lange in sehr guter Erinnerung bleiben wird.
Seit mehr als 235 Jahren wählt Amerika seine Regierung durch freie Wahlen – „vom Volk für das Volk“. Dass diese Art der Demokratie und deren Aufrechterhaltung nicht selbstverständlich ist, zeigt sich am Beispiel der USA ganz deutlich. Während unseres Aufenthalts in Madison habe ich eine Reihe herausragender Persönlichkeiten kennengelernt, die – obwohl sie aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, beruflichen Kontexten und Themenfeldern stammen – eines gemeinsam haben: Sie setzen sich mit großem Engagement für ihr Land ein und arbeiten tagtäglich daran, die grundlegenden Prinzipien von Freiheit und Demokratie zu bewahren. Besonders die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die ich während meiner Zeit dort erfahren durfte, machen Madison zu einem Ort, an den ich immer wieder gerne zurückkehren würde.